Technische Beschreibung des Staßfurter Magnetbandgerätes MTG 19
Das erste in Staßfurt, aus dem BPG 190 entwickelte Magnetbandgerät weist aus heutiger Sicht viele Besonderheiten auf, die es von allen späteren Modellen unterscheiden, die aber auch derart unkonventionell sind, daß deren ausführliche Beschreibung an dieser Stelle gerechtfertigt erscheint.
Äußerer Aufbau:
Die zweiteilig untergliederte Platine aus 4 mm dickem Alublech trägt auf ihrer waagerechten, quadratischen Oberfläche alle für den Bandtransport nötigen Komponenten wie zwei große Leitrollen, die Tonrolle, eine Andruckrolle und zwei als Rutschkupplung ausgebildete Mitnehmerscheiben für DIN-gemäße Dreizackspulen. Darüberhinaus ist neben dem obligatorischen Kombikopf noch ein mit einem saphirbestückten Magnetsystem ausgestatteter Tonarm montiert und die Tonrolle besitzt eine verlängerte Welle um einen Plattenteller aufstecken zu können.
Alle nötigen Bedien- und Anzeigeelemente, einschließlich der Steckbuchse für ein Kristallmikrofon, sind sehr übersichtlich und ergonomisch gut gelöst an dem um 70° nach unten abgewinkelten Frontteil der Platine angeordnet. Um die Standfähigkeit herzustellen, sind unterseits zwei flache Streben angenietet.
Die Größe der quadratischen Oberfläche beträgt 36 x 36 cm, das abgeknickte Bedienfeld verlangt in Verbindung mit den Standstreben eine Einbautiefe von über 113 mm. Das „über“ richtet sich nach Größe und Beschaffenheit des für den Einbau erforderlichen, unter die Streben zu legenden Dämpfungsmaterials.
Innerer Aufbau:
An der Frontseite ist der in einem Zweikammerblock untergebrachte Magnettonteil mit HF-Generator und NF-Verstärker über 4 kleine Silente hängend so montiert, daß die durchgehende Nockenwelle vorn zentrisch aus dem 75 mm hohen Bedienschild herausragt. Weiterhin sind noch der Lagerwinkel für den Betätigungshebel der mechanischen Drehrichtungsumkehr der Wickeltriebe, die Sofittenfassungen der Glimmröhren, die klassische HF-Buchse für das Mikro,eine Doppelbuchse für Kopfhöhreranschluß und der Netzschalter an der Vorderfront montiert.
Unterhalb des waagerechten Platinenteiles sind die beiden Lager der Wickeltriebe, das Gestänge zur Drehrichtungsumkehr derselben, der spezielle Phonomotor mit der doppelten Riemenscheibe zum Antrieb beider Wickeltriebe mittels zweier endlos geflochtener, textiler Kordelschnüre und das Schaltgestänge des Plattenspielertonarmes montiert. Darüberhinaus ist auch noch die große Anodendrossel mit dem darauf montierten Klemmbrett als zentrale Schnittstelle für die Verbindungsleitungen montiert.
Von dem Klemmbrett gehen sehr lange Leitungsstränge ab, welche in den zeitgenössischen Dreistiftsteckern sowie einem Stahlröhrensockel enden. Letzterer wird beim zugehörigen Empfänger Stern 6 E 64 in die dafür vorgesehene Fassung eingesteckt. Der Magnettoneinschub wird so mit den nötigen Versorgungsspannungen aus dem Netzteil des Musikschrankes versorgt. Je eine separate Leitung, die einmal in dem klassischen Dreistiftstecker mit flachem Mittelstift endet, wird an den Tonabnehmerbuchsen des Rundfunkchassis angesteckt, eine weitere Leitung ist einpolig mittels Bananenstecker in die heiße Buchse des hochohmigen Lautsprecheranschlusses einzustöpseln. Eine weitere Leitung mündet in einem normalen Rundstecker und wird in die im Musikschrank dafür vorgesehene Netzsteckdoseeingesteckt. Diese Leitung führt direkt über die beiden Netzschalter zum Motorstromkreis. Weiterhin führen noch zwei lange Leitungen, eine davon direkt vom Tonarm kommend, an den separat zu montierenden, vollgekapselten Aufwärtstransformator.
Dies Art der Integration in den Musikschrank erlaubt einen schnellen, lötfreien Ausbau des MTG19 aus dem Tonmöbel.
Bedienung & Funktionsweise:
Zur Funktion als Plattenspieler ist zu sagen, daß durch die Beibehaltung der Ein- und Abschaltautomatik der eigenständige Betrieb als Wiedergabegerät für Normalrillenplatten mit einem Drehzahlbereich zwischen ca. 70 . . . 80 Upm gewährleistet ist. Dabei ist mit dem oberseitig vorn, mittig angeordneten Regulierhebel die jeweils erforderliche Drehzahl einzustellen. Für den Magnetbandbetrieb muß diese stets auf 78 Upm reguliert werden um einer Transportgeschwindigkeit von 19,05cm/s zu entsprechen. Das kann mit Hilfe einer großen, auf den Plattenteller aufgelegten Stroboskopscheibe ebenso wie mit einer Schellackplatte mit entsprechendem Etikettenranddruck (z.B. ETERNA „blau“) erfolgen.
Die weitere Funktionsweise als Magnettongerät ist davon gekennzeichnet, daß die Andruckrolle ausschließlich manuell betätigt und als Besonderheit IMMER angelegt sein muß - ausgenommen bei reinem Plattenspielbetrieb.
Zum beschleunigten Umwickeln muß der Senkel grundsätzlich aus dem Bandpfad genommen und direkt über beide Leitrollen, ohne Benutzung der Schlaufenfänger, geführt werden. Alsdann wird das Arretierstück in die jeweils treibende Spule eingesteckt und der Umsteuerhebel auf die dementsprechende Stellung geschaltet.
Unverständlich ist uns, daß sowohl die beiden großen Leitrollen samt ihren Schlaufenfängern und Lagerhülsen als auch beide Mitnehmerteller und die Teile der Andruckrolle aus ferromagnetischem Werkstoff gefertigt sind. Lediglich die Tonrolle mit den nachträglich aufgeschraubten Führungsflanschen besteht aus Aluminium.
Während beide Rollen identisch sind, sind es die zwei Spulenmitnehmer nicht! Das ist auch ohne wiegen an den unterschiedlich großen Bunden der Dochte erkennbar.
Als Antrieb kommt der aus dem Rochlitzer MTG 7 E 84 bekannte Phonomotor mit 4 Feldspulen und extralanger Tonwelle zum Einsatz. Die Tonrolle wird eigenständig mittels zweier Madenschrauben auf der Welle fixiert. Die Seilscheiben unterschiedlichen Durchmessers bilden mit dem Anlaufnocken eine bauliche Einheit und treiben über je eine textile Kordel die Wickeltriebe permanent an. Dabei wirkt die motorseitig angeordnete, erheblich größere Scheibe auf den Abwickeltrieb. Die zugehörige Antriebskordel wird mit der auf eine Blattfeder montierten Skalenseilrolle auf permanente Spannung gehalten. Die wesentliche kleinere, platinenseitig angeordnete Scheibe treibt den Aufwickeltrieb an. Wegen der notwendigen, gegenläufigen Drehrichtung wird diese Antriebsschnur gekreuzt über ein festmontiertes Röllchen geführt. Eine irgendwie geartete Spannvorrichtung ist nicht vorhanden.
Zu den völlig identisch gebauten Wickeltrieben ist zu bemerken, daß deren Friktionselemente aus aufgeleimten Weichgummischeiben bestehen. Zur besseren Haftung sind die betreffenden Stahlteile radial profiliert. Die Kupplungen arbeiten komplett kraftschlüssig, was mit dem links befindlichen kleinen Hebel bewerkstelligt wird. Dieser betätigt eine durch beide Lagergehäuse geführte Schaltwelle an deren Enden je ein justierbarer Exzenter auf den in der Hohlwelle des Triebes befindlichen Druckstift einwirkt der so die erforderliche Anpreßkraft der für die gewählte Wickelrichtung zuständigen Kupplung erzeugt.
Wie alle Staßfurter MTGs hat auch das MTG 19 keinen HF-Löschkopf. Stattdessen wird eine netzbetriebene Handlöschdrossel mitgeliefert, welche an einer dafür im Musikschrank vorhandenen Steckdose bei Bedarf anzuschließen ist. Selbstverständlich kann alternativ auch der umschaltbare Permalöscher MLT 55 auf dem MTG 19 montiert werden.
Das uns vorliegende Mustergerät ist mit einem kleinen 10“ Plattenteller aus Leichtmetall bestückt. Es kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden, ob dies dem Lieferzustand ab Werk entspricht. Rein optisch gesehen, spricht aber die Farbe des Bespannfilzes dafür.
Gesamteindruck:
Das Vorhandensein der Mitnehmer für standardisierte Tonbandspulen, die rel. hohe Fabriknummer und auch der kleine 10“ Plattenteller sind deutliche Zeichen für eine fortgeschrittenere Baustufe, als es die in den diversen Publikationen zu sehenden Modelle, welche teilweise auch noch als BPG190a ausgewiesen werden, verkörpern. Alles in allem wirkt das vorliegende Gerät dennoch deutlich unfertig. Das bezieht sich sowohl auf technische Lösungen als auch auf die reine, völlig umständliche Bedienung mit all ihren Mängeln. Servicetechnisch gesehen ist das Gerät eine ziemliche Katatstrophe, da weder reproduzierbare Justierungen noch elektrische Messungen oder gar Teilewechsel mit vertretbarem Aufwand, d.h. ohne grundlegende mechanische Komponenten zuvor zerlegen oder ausbauen zu müssen, vorgesehen, geschweige denn durchführbar sind. Einzig die zwei Röhren EF12 und EF14 sowie die zwei Glimmröhren UR110 lassen sich ohne größere Mühe wechseln.
Verglichen mit den späteren MTG 20 ff ist die Bedienung des MTG 19 durch das abgewinkelte Bedienfeld deutlich ergonomischer; verglichen mit dem zeitgleichen MTG 7E84 zeigt das Staßfurter Gerät erhebliche Mängel in Funktionsumfang und Bedienfreundlichkeit. Einzig vom optischen Erscheinungsbild - unter Beachtung des dafür vorgesehenen Anwendungsfalles - kann das MTG19 gegenüber allen anderen MTG-Modellen dick punkten. Auch die nahezu identische Bauhöhe, bezogen auf Oberkante Platine, untermauert die enge Verwandschaft mit der Entwicklungslinie des BG19 und ließe eine parallele Aufstellung beider Modelle als solitäre Heimtonbandgeräte ohne weiteres zu. Das ist eine Idee, der ich mich bei der Konstruktion eines passenden Kastens unbedingt annehmen werde
In unserer Galerie sind auch Bilder einzelner Komponenten eingestellt, insbesondere die aufwendig konstruierten, dennoch eher skurril anmutenden Wickeltriebe in ihren Einzelteilen.
Bei jeder Beurteilung technischer Einzelheiten darf man nie vergessen, daß es sich um den allerersten Versuch eines praxistauglichen Heimmagnetbandgerätes im Staßfurter Rundfunkwerk handelt. Es konnte auf Null Erfahrungen zurückgegriffen werden und - das sehe ich als wesentlich an - die Kollegen dort hatten aus sich heraus kein Interesse an dieser Technik. Das wird allein damit belegt, daß man auf Nachfragen stets verneinte, je etwas mit Magnetbandgeräten zu tun gehabt zu haben!
Ist es den Leuten dort derart peinlich, daß sie ihre eigene Geschichte verleugnen?
Als ich vor Jahren meine Hilfe anbot, war dies unerwünscht. Auch gut!
Als unser Buch mit der Abbildung und Kurzbeschreibung des MTG 19 erschienen war, zeigte man plötzlich Interesse an meinem Gerät, doch der Zug ist abgefahren, mich anzubiedern habe ich nicht nötig. |