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Lieber Wolfgang, lieber Nils,
nachdem noch niemand st?nkert, vieleicht auch von mir ein paar Hinweise zur Sache.
Die dumpfe Wiedergabe rührt daher, dass Telefunken damals eine andere Entzerrung wiedergabeseitig voraussetzte, als wir heute jenen Schellacks zuteil werden lassen. RIAA/DIN gab es als Norm ja noch nicht. Das Rauschen der Schellacks wird durch unsere moderne, fehlerhafte Entzerrung zwar recht schön heruntergefahren, doch kommen wir dadurch dem gemeinten Inhalt jener Platten nicht gerade näher, wie du zielsicher feststellst.
Unseligerweise veröffentlichten die Hersteller damals namentlich die Entzerrungen im Höhenbereich nicht, behandelten sie also als Werkgeheimnis, das ?bedies von Firma zu Firma wechselte. Telefunken soll in dieser Zeit mit einer wiedergabeseitigen Entzerrung von + 8,5 dB/200 Hz (entspricht übrigens RIAA) und -5 dB/10 kHz (RIAA macht -14 dB, da liegt der Hase im Kraut) gerechnet haben. Nachdem die eben zitierten Werte auf den üblichen Kuhschwanzentzerrer berechnet sind, könntest du die Höhen an deinem Verstärker um etwa 9 dB anheben, um dorthin zu kommen, wo der seinerzeitige überspieltechniker seine Platte haben wollte. natürlich machte (und macht) der Techniker auch noch zusätzlich etwas (Radiuskompensation des Frequenzganges), weil die analoge Platte ein immer neues, individuelles Problem darstellt. Je schellackiger, umso mehr.
Das Schicksal von Erna Dorothea Luise Sack, geb. Weber (1898-1972) und Karl Schmitt-Walter (1900-1985; er rudert "auf den Fl?geln des Gesanges" auch noch als Schmidt-W. durch den internetten Musikerhimmel) ist recht eng mit der hochwertigen Mediengeschichte verknüpft. Erna Sack steuerte zwei Beiträge zur ersten öffentlichen Vorf?hrung des Hf-Magnetofons am 10. Juni 1941 im Berliner Ufa-Haus bei (Joseph Strauss, Vokal-Bearbeitung seines "Konzertwalzers" 'Dorfschwalben von ?sterreich' und die Arie 'O luce di quest'anima' aus Ga?tano Donizettis "Linda di Chamounix") und gehört daher zu den Nornen an der Wiege des neuzeitlichen Tonbandgerätes. Sie, die sich von der Altistin zur klassischen Koloraturspranistin entwickelte, soll das viergestrichene C gesungen haben, was sie als 'Weltrekord' noch heute im "Guinness-Buch der Rekorde" stehen hat. Ein Fall für Thomas Gottschalk also, leider starb das Spandauer Kind schon 1972 in Mainz. In der besagten Aufnahme singt sie natürlich auch einen extrem hohen, relativ lauten Ton und hält ihn auch noch pariturabweichend so lang aus, dass auch dem letzten im Auditorium sitzenden Telefunkentechniker das Blut in den Adern gefrieren musste, denn solcheart laute und hohe Töne auf der Platte konnten nur krachen; kamen auf dem Magnetband aber glasklar (h?stel)....
Der Germersheimer Karl Schmitt-Walter steuerte für die Betriebseinf?hrung des Magnetofons bei der Reichsrundfunkgesellschaft am 1. Januar 1942 Aufnahmen mit Liedern Edvard Griegs ('Im Kahne', 'Lichte Nacht' mit Michael Raucheisen am Klavier) bei, die bis zum 31.12.1941 von der RRG produziert wurden und bis heute erhalten sind. Die Qualität dieser Aufnahmen, die ein halbes Jahr nach der obigen Vorf?hrung entstanden, lässt sich nur durch ein "unglaublich" beschreiben, gerade im Hinblick auf die nun erreichte, absolute Verzerrungsarmut und natürlichkeit. Vergleicht man beide Aufzeichnungen (Sack 6.41 und Walter 12.41) erkennt man, was noch in diesen sechs Monaten zur Entzerrung des Magnetofons hinzugelernt worden sein muss.
Schmitt-Walter wurde als Lied-, Opern- und Oratoriens?nger, der sichtlich stark vom Medium (Schallplatte und ggflls. auch schon Magnetofon) beeinflusst war, für die S?ngergeneration bis heute international schulebildend, denn er schaffte die romantisch überzeichnende, s?ngerische Interpretation als "überinterpretation" ab, sang natürlich und gestaltete bewusst feingliedrig auf dieser Ebene. Dietrich Fischer-Dieskau und Fritz Wunderlich betrachteten sich neben anderen ihrer Generation als seine Schüler, von denen Schmitt-Walter als Professor der Münchener Musikhochschule (sie kennt nur "Karl Schmidt-Walter") endlose Reihen ausbildete, deren 'Kinder und Enkel' heute noch aktiv sind. Er starb 1985 unter den Fittichen von Willibald Kreuth am Tegernsee, wo sich heute ein etwas anderes und durchwegs amusisches 'Faschingspersonal' alljährlich durch den Schnee kämpft.
Ich bes??e ein scanbares Bild des Konzertsaales der Berliner Singakademie (also des Studios der Telefunkenplatte), der allerdings auch akustisch sehr schön (und bieder dazu) einschließlich der Orgel an der Rückwand auf der Gedächtnisschallplatte für Gustav Stresemann von 1930 zu hören ist, die zusätzlich den Unterschied zwischen dem Triergon-Kathodophon (-Mikro) und Georg Neumanns praktisch gleichzeitigem CM3 darstellt. Bei Interesse poste ich dieses Bild.
Dass die Berliner Singakademie musikhistorisch (Zelter, Mendelssohn, Schr?der-Devrient, Rochlitz, Wiederauff?hrung der Matth?uspassion Bachs, Autographensammlung, die vor 7 Jahren in Kiew wieder auftauchte etc.) von eminenter Bedeutung ist und als Verein noch heute existiert, erwähne ich nurmehr am Rande, weil ich meinen 'Forenbogen' schon reichlich vollgeschrieben bzw. überspannt habe....
Hans-Joachim |
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