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Autor: 19null5 Verfasst am: 17.04.2012, 21:00 Betreff: Magnetophon im Sender Leipzig
Aus dem Buch "... bitte schneiden" - Rundfunkplaudereien von Gerhard Jäckel

(PASSAT-B?cherei, Band 33. Urania-Verlag Leipzig/Jena/Berlin, 1961)


Zitat:

Es war im Gebäude einer ehemaligen Krankenkasse in der Springerstraße zu Leipzig. Der Mitteldeutsche Rundfunk, Sender Leipzig, hatte unter dem Patronat der sowjetischen Militärbehörde bereits am 1. September 1945 zu arbeiten begonnen. Ab Juni 1946 strahlte er ein eigenes Sendeprogramm aus. überall im Hause wurde noch gehämmert und gezimmert, das Gebäude wurde für die Zwecke des Rundfunks umgebaut. Die Reporter, die dennoch auszogen, um ihren Hörern von den aktuellen Ereignissen zu berichten, brachten ihre Reportagen in Wachsplatten geschnitten heim.
Die Arbeit mit der Wachsmatrize war ein umständliches und mühsames Verfahren. außerdem verlangte sie ein hohes Maß von Konzentration, die bei der mangelhaften Ernährung von damals dem Reporter oft fehlte.
Eines Tages bat der technische Leiter des Mitteldeutschen Rundfunks Leipzig einige Reporter in einen Kellerraum. Erwartungsvoll folgten sie seinem Ruf. Auf dem Tisch stand ein feldgrauer Metallkasten. Der technische Leiter hob den Deckel, und man sah nun zwei, ebenfalls in der Tarnfarbe der Naziwehrmacht gehaltene Teller. Hier machten die meisten von uns jungen Mitarbeitern ihre erste Bekanntschaft mit dem Magnetophongerät. Das Band lief über die üblichen Einrichtungen, Löschkopf, Aufnahmekopf, Wiedergabekopf. Aber der Motor, der das schmale, braune Band vom linken auf den rechten Teller transportieren sollte, hatte seine Mucken. Er arbeitete erst, nachdem er von einem kleinen Hilfsmotor angeworfen worden war; auch während der Übertragung wurde er hin und wieder müde, so daß er einen kleinen Schubs durchaus vertragen konnte. Wenn man bedenkt, daß die Aufnahme- und Wiedergabegeschwindigkeit einander unbedingt entsprechen müssen, weil sonst die Aufnahme nur jaulend und verzerrt zu hören ist, kann man sich vorstellen, welch ein Hochgenuß das Band unseres Kollegen für uns gewesen ist.
Trotzdem war es eine entscheidende Wende in unserer Rundfunkarbeit. Die neue Technik - "Konservierung" von Sprache und Musik auf einem magnetisierbaren Bande - war uns vom hörensagen her bekannt; hier erlebten wir sie das erste Mal in Funktion. Es war für uns kaum begreiflich, daß man das Band wie dünnes Papier zerschneiden kann - aber die Technikerin führte es uns vor. Sie nahm eine gewähnliche Nagelschere - Schnitt, und ein Stückchen weiter noch einmal Schnitt. Ein meterlanges Ende fiel unter den Tisch. Mit einer AzetonLösung klebte sie die beiden Enden wieder zusammen. Noch einmal lief das Band ab, und siehe, das störende Füllwort, das der Kollege überflüssigerweise hineingesprochen hatte, war heraus geschnitten, "gecuttert" worden.




Hajo



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