Treffpunkt der Interessengemeinschaft Übersicht -> Mechanische Musikinstrumente
Autor: deltamike55 Verfasst am: 14.05.2008, 18:28 Betreff: Klavierrollen
Hallo Experten,

ich habe bei eBay ein Teil ersteigert, von dem ich ehrlich nicht wußte, was es ist. Nur weil der Verkäufer aus dem gleichen Ort kommt und mich die Neugier plagte, habe ich das Teil als Einziger für 1 Euro bekommen.

In einem stabilen Kasten mit Holzlagern an den Enden liegt eine etwa 30 cm breite Rolle Papier. Die Kastenaufschrift sagt, dass "F?nf Walzer, Op. 8, vierh?ndig" gespielt werden. Klingt nach megastarker Klaviermusik.



Den Anfang bildet eine ?se mit den Informationen des Rolleninhaltes. Der VK meinte, die Rolle geh?re in einen Antriebsmechanismus, welcher dann automatisch die Klavierkl?ppel aktiviert.



Macht ja auch Sinn, denn wenn man die Rolle öffnet erscheinen Stanzl?cher, die ja irgendwie den Mechanismus ansteuern sollen.



Nur wie funktioniert so ein AbspielGerät ?? Die Rolle ist aus stinknormalem Papier und sehr sehr lang. Ich kenne noch die Vorgänger der Grammophone mit ihren Stachelwalzen und -platten, aber dieses Teil ist mir fremd.

Nebenbei, es feiert nächstes Jahr 100. Geburtstag !!

Viele Grüße, Dieter


Autor: Nils Verfasst am: 14.05.2008, 19:38 Betreff:
Hallo Dieter,

da hast Du eine Rolle für ein elektrisches Klavier !

Sie waren bis in die 30er Jahre hinein sehr beliebt in kleinen Gaststätten etc.

Es gibt auch "elektrische Fl?gel" , aber die Klaviere (auch Phonola genannt) waren viel verbreiteter.

Hier in unserer Kleinstadt stand bis in die 80er Jahre noch so ein Klavier im Saal einer Kneipe.
äußerlich sieht es erstmal wie ein normales Klavier aus, aber man kann an der Front eine Klappe/Schiebet?r öffnen und sieht dann die Mechanik für die Rolle.

Sie funktionieren elektrisch, ein Motor macht "Vakuum" und durch die Löcher im Papier werden die Hammer einzeln pneumatisch zum Anschlag gebracht.

Bekannt sind solche Klaviere meines Wissens von Firma Welte und Firma Hupfeld.

Es gibt solche Rollen von richtig bekannten K?nstlern bespielt, die Technik war da wohl schon sehr ausgereift.
Ich glaube zu wissen, daß unter anderem George Gershwin auch seine Melodien auf Rollen hinterlassen hat.
Es ist wohl auch für den Fachmann kaum zu unterscheiden, ob eine Rolle oder "in echt" gespielt wird...

Jetzt fehlt Dir nur noch ein passendes Klavier zu Deiner Rolle Laughing

Gruß, Nils


Autor: deltamike55 Verfasst am: 14.05.2008, 20:52 Betreff:
War ja klar, dass Nils wieder Bescheid weiß...

Der Typ hat noch 15 von diesen Rollen - lohnt es sich, die zu bunkern ?

Vielleicht kommt ja mal so ein Klavier vorbei...

Irgendwie würde ich es an meiner Frau schon vorbeischleusen.

Trotzdem würde ich gerne mal so eine Mechanik arbeiten sehen; mir ist noch nicht ganz klar, wieso das zarte Papier heile bleibt, wenn da kräftig Luft durchgesetzt wird, in welcher Richtung auch immer. Die hörte des Anschlages muß doch auch irgendwie gesteuert werden, oder ?

Gruß, Dieter


Autor: 19null5 Verfasst am: 14.05.2008, 22:07 Betreff:
Hallo Dieter,

schau mal hier und hier

Die Kisten sind auch bekannt als Pianola.
Zitat:
Ich bin die fesche Lola, der Liebling der Saison! Ich hab' ein Pianola...

Marlene Dietrich in "Der Blaue Engel"


In einem Tr?delladen hier in Athen steht so ein Ding. Juckt mich ja von Anfang an. Aber wohin damit ???



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Viele Grüße aus Athen!
Hajo


Autor: Nils Verfasst am: 15.05.2008, 10:50 Betreff:


...ich hab ein Pianola zuhaus in mein' Salon und will mich wer begleiten da unten aus dem Saal, dem hau' ich in die SAITEN und tret' ihm auf's PEDAL Laughing

Die Rollen werden ab 25 Eu angeboten und scheinbar gibt es von Firma Hupfeld sogar noch einen Katalog mit bestellbaren Rollen Smile

Das von mir erwähnte elektrische Klavier in der Kneipe hatte statt der Pedale halt schon einen Elektromotor und war auch immer von Kindesbeinen an meiner Neugier ausgesetzt, wenn sich die Erwachsenen mit sowas langweiligem wie Kaffeetrinken beschäftigt haben.

Leider habe ich es nie spielen gehört, es war schon in den 60er Jahren nur noch ein eingestaubtes Mübel in der Kneipenecke...
und ich bin mir recht sicher, daß es müssentsorgt wurde, als die Kneipe in den 80er Jahren geschlossen wurde.

Bei meinem Vater steht auch noch ein Klavier, gibt es sicher kostenlos nur müßtest Du Dir die Mechanik für die Rollen einbauen ! HA HA Laughing


Autor: Phonomax Verfasst am: 21.11.2011, 23:09 Betreff:
Einen guten Abend in die Runde, auch wenn der Thread wohl nicht mehr prim?r aktiv ist:

Die Papierrolle war der genuine Vorgänger des Magnetbandes, dem er, wenn auch auf wenige Instrumententypen beschränkt, immerhin und gerade bei historisch vor dem Eintreten der Hf-Vormagnetisierung gestorbenen Interpreten (Pianisten) einiges voraus hatte. In den 1970ern nämlich wurden einige stereofone Schallplatten in höchster Qualität mit auf Papierrollen gespeicherten Interpretationen solcher Pianisten veröffentlicht, die noch vor Ende des 1. Weltkrieges gestorben waren.

Das prim?r pneumatisch, mit Unterdruck arbeitendee Speicherverfahren nach Welte-Mignon wurde von Eugene d' Albert, Max Reger und vielen anderen gerne und vor allem musikalisch anerkennend genützt, weil man die Detials der eigenen Interpretationen detailliert aud auf höchsten Niveau wiedererkannte.
Instrumententechnisch hat vor allem die Firma Hupfeld in Leipzig eine Erweiterung ins Ensemblemusizieren betrieben und mit der "Phonoliszt Violina" ein mechanisch spielendes Klavier mit bis zu drei, von einem gemeinsamen "Rundbogen" (derjenige Otto B?chners ist 'was anderes') gestrichene Violinen ausgestattet.
grundsätzlich gab es das Papierstreifenverfahren auch für Kirchenorgeln, denn eine Kirche im Rheinhessischen, an der ein Onkel meines Vaters geistlich tätig war, besaß ein solches Instrument von fürster & Nicolaus, Lich/Hessen, für das mein Vater als Ingenieursstudent und befähigter Orgelspieler ein Praeludium aus Bachs Wohltemperiertem Klavier in Papier schnitt und dort -ohne eigener Zutun als Spieler- 'zur Auff?hrung brachte'. Die Rolle überlebte die letzten 86 Jahre und existiert noch heute in meinem Besitz.

Museen mit repräsentativen Papierrollensammlungen gibt es in größerer Anzahl zwischen dem Berliner Musikinstrumentenmuseum, Siegfrieds Musikkabinett in R?desheim/Rhein oder dem Deutschen Museum in München (Musikinstrumentensammlung).

Hinsichtlich der künstlerisch hochwertigen Interpretationen auf diesen Rollen wäre es für uns heute hochinteressant zu wissen, wie man Reger oder d'Albert seinerzeit 'aufnahm'. Es erfolgte nämlich eine Aufnahme im durchaus modernen Sinne, die überdies noch 'editiert' werden konnte, nachdem eine 'Anpressung' in Gestalt einer ersten Papierrolle gestanzt und dem Interpreten zur Abnahme vorgeführt worden war. Leider sind wir bezüglich des nicht patentierten Verfahrens auf Vermutungen zur Technik angewiesen. Es existieren vereinzelt Fotos, auf denen im Hintergrund die 'Apparatur' in Gestalt einer Blackbox zu sehen ist; dies jedoch ohne dass man verbindlich auf ein Verfahren schließen könnte. Angaben zur Funktion des Speichers und des für die Aufnahme vermutlich speziell pr?parierten bzw. aufgebauten Fl?gels haben wir nicht. Weltweit wurden solche Aufnahmen nur von ganz wenigen Firmen vorgenommen, die ihr Monopol kannten und daher auch von der Patentierung absahen. sämtliche, über die letzten zwanzig, drei?ig Jahren in der Szene von Zeit zu Zeit auftauchende Meldungen, man habe Reste einer solchen Aufnahmeapparatur für die Herstellung von Welte-Mignon-Papierrollen entdeckt, erwiesen sich regelmäßig als Enten.

Hans-Joachim


Autor: MGW51 Verfasst am: 20.12.2016, 00:52 Betreff: Hupfeld Orchestrion von 1915
Um einmal diesen nahezu ausgetrockneten Thread mit ein wenig Leben zu Fällen, habe ich in meinem Archiv gegraben denn ich wußte irgendwo dazu etwas abgelegt zu haben. Nun also bin ich fündig geworden und möchte euch den Bericht aus der SZ vom 18. Januar 2014 nicht vorenthalten:



Nun noch ein Blick auf die Windmaschine und den eigentlichen "Arbeitsspeicher" der die Daten an die Pneumatik und Mechanik seinerseits weitergibt.


Nun ist es ja kein Geheimnis, daß dieses Wunderwerk der Technik quasi bei mir um 3 Ecken zu finden ist. Wenn alles gut geht, dann werde ich Nils die Freude bereiten können, so einen Apparat in Funktion zu sehen und zu hören. Ich hoffe erstmal, daß das Gerät noch immer funktionsfähig ist.


Autor: MGW51 Verfasst am: 26.12.2016, 03:14 Betreff:
Das möchte ich hier noch ergänzend anhängen:

Es wurde zwischenzeitlich vereinbart, im kommenden frühjahr ein entsprechendes Treffen stattfinden zu lassen, bei dem wir das Instrument in Funktion erleben und natürlich auch mit entsprechenden Fotos und Videoaufnahmen das Abspiel dokumentieren werden.

Ich teile den Termin rechtzeitig mit, so daß sich ggfs. noch ein, zwei Interessenten anschließen könnten.



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