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Autor: ThomasT Verfasst am: 29.05.2007, 17:18 Betreff: Auflagekraft & Antiskating
Hallo Forum,

in Fortf?hrung des Beitrages von deltamike55 hier jetzt eine ausführliche Antwort:

für die Neu- und Wiedereinsteiger die Schallplatten hören und Plattenspieler wieder drehen lassen, schreibe ich diesen Beitrag. Im Forum tauchten Fragen auf, die ich gerne etwas ausführlicher beantworte. Nicht zu technisch gehalten, wie ich hoffe. Da gibt es noch ganz andere Sachen zwischen Abtaster und Tonarm.

Korrekte Einstellung der Auflagekraft und Anti-Skating

Die Einstellung erfolgt nach den Herstellerangaben. Als Beispiel dient hier das ehemalige High-End-System:

Shure V15TypIV
Tiefenabtastung (315Hz): 80? bei 10 mN (1Pond~1Gramm)
Höhenabtastung (10,8kHz): 30cm/s bei 10mN

Optimale Auflagekraft: 10mN

Einstellung in dem Fall auf 10mN vornehmen. Am Tonarm und Anti-Skating-Einsteller auf 1,0. Da es sich um eine elliptische Tonnadel handelt ist am Anti-Skating-Einsteller die Skala mit dem ovalen Symbol zu wählen.

Bei diesem TA ist eine absolut sichere Abtastung gew?hrleistet = 80?.


Auf diesem Bild sind auch die Symbole, z.B. für Dual-Plattenspieler zu sehen. Kreis = sph?risch usw.
Shibata = CD-4 bei z.B. Dual.

Man sollte sich h?ten, Werte unter der Empfehlung des Herstellers einzustellen. Das ist besonders bei "günstigeren Mittelklasse" Tonabnehmern von Bedeutung. Ist der Wert z.B. von 15mN bis 25mN angegeben, so ist der mittlere Wert = 20mN einzustellen.

Das TA-System ist ja für einen bestimmten Bereich der Auflagekraft gebaut worden.
Zu geringe Werte führen unweigerlich zu Sch?den an der Rille, da der Abtaster die Führung verliert und in der Plattenrille unkontrolliert "schlingert".

Jeder Tonabnehmer enthält ein bewegliches Element, das über den Kontakt der Abtastnadel mit den Rillenflanken angetrieben wird. Das andere Ende im System ist in einer besonderen Gummimasse extrem weich gelagert. Das ist wichtig für die R?ckstellkraft, damit die Nadel wieder in die Ausgangslage zurückbewegt wird.
Die Nadelnachgiebigkeit wird mit Compliance bezeichnet. Nadelnachgiebigkeit und Nadelmasse bestimmen die AbtastFähigkeit und somit die optimale Auflagekraft des TA-Systems.
AbtastFähigkeit = h?chst mögliche Amplitude, die sauber abgetastet werden kann.
Und das ohne Folgen für die Schallplatte.


Das ist ein Beipiel zur Messung der AbtastFähigkeit bei 315/300 Hz. Neuere Bilder direkt vom Oszilloskop folgen.

Dem Wert der Tiefenabtastung (315Hz/300Hz) kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu. Es treten hier Resonanzen auf, die den Tonarm und den Tonabnehmer aufschaukeln. Diese Resonanzen werden durch die Konstruktion des Tonarms und dessen Gegengewicht reduziert, bei richtiger Einstellung der Auflagekraft.
Ist die Auflagekraft zu gering eingestellt für das betreffende TA-System, tritt der obige Effekt ein: der Tonabnehmer verliert die Führung in den Rillenflanken.

Ein Wert unter 50? Amplituden horizontal und vertikal ist als Minimum der Abtastung nach Möglichkeit zu erreichen!
Das 10000Hz Testsignal ist ebenfalls sauber abzutasten um kritische Schallplatten abspielen zu können. Ist dies nicht der Fall, äußert sich das an knisterähnlichen Geräuschen.

Genau so wichtig ist, daß das Tonabnehmer-System mit dem Tonarm harmoniert. Ein schweres, gewichtiges System kann nicht ohne weiteres in einem Ultra-Low-Mass Tonarm Verwendung finden. Es lagen teilweise, u.a. bei den Ortofon Systemen, Zusatzgewichte dabei um das Gewicht der TAs zu erhöhen und diese somit auch in schweren und mittelschweren Tonarmen nutzbar zu machen.

Anti-Skating

Es gibt bei der Abtastung eine Kraft, die den Tonarm zur Plattenmitte zieht. Dies gilt es mit dem Anti-Skating-Regler zu kompensieren. Wird dies nicht gemacht, führt das zu ungleicher Abtastung der rechten- und linken Rillenflanken. Die Schallplatte und Tonnadel werden einseitig abgenutzt. Zu hören ist das an verzerrten Höhen. Wenn Ihr mal eine Schallplatte abhört, wo nur ein Kanal verzerrt ist, dann ist das die Folge einer falsch eingestellten Anti-Skating-Kompensation. Sind beide Kanäle verzerrt, ist das eine Folge von zu hoher Auflagekraft oder Abtastung mit einer defekten Tonnadel.

Achtung: Wer seine Schallplatten Nass abtastet, hat auch eine veränderte Skating-Kraft.

Es gibt (gab?) Me?schallplatten mit denen alle wichtigen Parameter zu messen sind.
Zum Beispiel die von mir benutzten:

Die dhfi Schallplatte Nr.2
Hier gibt es eine lange Leerrille zur exakten Einstellung der Antiskating-Kraft. Glatte Plattenoberfläche zur Prüfung der Kompensation der Skating-Kraft.
Bei korrektem Ausgleich der Skating-Kraft bleibt der Tonarm in der Position stehen in der er aufgesetzt wird.


Ebenso ein Abtasttest in Seitenschrift und Tiefenschrift 300Hz mit Ansage der wachsenden Amplitude bis 100?. Sobald Verzerrungen festgestellt werden, ist die Messung abzubrechen. Es gilt der Wert, der noch sauber abgetastet wird. Wer ein 2-Kanal Oszilloskop besitzt, kann das prima messen und braucht sich nicht auf die Ohren verlassen, siehe Oszillogramme weiter oben.

Messung von Frequenzgang (Frequenzschreiber wäre schön), Phasentest, Seiten- und Balancetest, Rumpeltest und Prüfung der übersprechd?mpfung.

Universal Frequency Test Record von der Deutschen Grammophon




Messung von Frequenzgang und übersprechen.
Bis 1000Hz wird mit ~10dB gemessen, ab 1000Hz mit ~20dB, was den Sprung im Frequenzschrieb erklärt. Die Linie ist ab 1000 Hz weiterzuführen, es ist nicht das gemessene System, welches um 10dB abfällt. Das hat ausschliesslich schneidtechnische Gründe!

Ortofon Pick UP Test Record

Seiten- und Phasentest
übersprechen
Leerrille zum bestimmen des Rumpelgeräuschabstandes
weißes Rauschen
Messung von Verzerrungen bei unterschiedlichen Amplituden
Abtasttest 315 Hz (wieder zur Prüfung der richtigen Auflagekraft und Skating)!
Tonarm-Resonanztest unter 25Hz (Anti-Resonator einstellen bei Dual !).

DIN 45541 Beuth-Verlag: Frequenz-Mess-Schallplatte


Gleitfrequenzteil und Festfrequenzteil in Mono und Stereo

RCA ERATO Hi-Fi Test

Abasttest (2,5kHz/5kHz/10kHz), Tonebursts, Differenztonverzerrung, Intermodulationsverzerrungen, Gleichlaufschwankungen 3150Hz, Frequenzgang, Terzrauschen, Abtasttest Tiefen: 300Hz, Amplitude 45/68/85? / 100Hz: 55?,
Lerrillen Messung Rumpelgeräuschspannungsabstand
Tests zur Beurteilung von Lautsprecherboxen


SHURE: An Audio Obstacle Course ?Era III TTR-110
Diese Me?schallplatte ist damals zur Einführung des legendären Spitzen-Abtaster Shure V15III rausgegeben worden. Hier wird mit Musikbeispielen das Abtastverhalten der Tonabnehmer beurteilt und per Ohr eine Liste geführt. So kann man feststellen, wann Verzerrungen auftreten und verschiedene TAs vergleichen.


Level1 = Reference
Level2 = +6dB
Level3 = +8dB
Level4 = 10dB
Level5 = 12dB
Hierbei sollte mindestens Level3 erreicht werden, bei den Glocken und den Bass Drums.


SHURE: An Audio Obstacle Course ?Era IV TTR-115

Zur Einführung des V15IV mit Reinigungsbesen vorn. Wenn der Besen benutzt wird, ebenso wie beim Modell V15V ist die Skating-Kraft übrigens anders einzustellen, da der Besen die Abtastung verändert. An der Nadelspitze liegen z.B. 10mN an, Anti-Skating ist aber auf 15mN einzustellen. Das ist aber eine fast einmalige Ausnahme.
Anhand von Musikbeispielen wird auch hier die AbtastFähigkeit getestet.

ELAC Einstellschablone nach schön

Zur exakten geometrischen Einstellung des Tonabnehmers ist eine Einstellschablone das wichtigste Hilfsmittel. Die hier gezeigte ist sicherlich eine der Besten. Gefertigt aus Plastik in der Stärke einer LP. Verkanteter Einbau oder falsche Stellung des TA oder der Abtastnadel führen ebenfalls zu irreparablen Sch?den an Schallplatte und Tonnadel. Das TA-System wird peniebel montiert und eingestellt, das kann längere Zeit dauern, bis alles stimmt.
Das Dual "Stecksystem" oder auch das von Technics verwendete T-4P Stecksystem kennt sowas nicht. Hier ist beim Einstecken der Systeme alles optimiert, teilweise sogar Auflagekraft und Anti-Skating (T-4P). Dem User ist hier viel Arbeit abgenommen worden. Tangential-Plattenspieler zählen auch dazu.



Hochwertige Wiedergabe (sichere Abtastung) und HiFi-Genuss mit Schallplatte


Direct-to- Disc, der Direktschnitt.
Hier ist besonders ein hochwertiges TA-System und guter Tonarm mit einer hohen AbtastFähigkeit ab 80? gefragt. Sonst "fliegt" der Tonarm aus der Rille, die Platte "springt". Beim Direktschnitt sind extreme Pegel auf der Schallplatte.
Mir besonders bekannt sind Charly Antolini mit "Knock Out" und "Countdown". Sowie Ouvert?re 1812 mit echten abgefeuerten Kanonen unkomprimiert auf Schallplatte.
Hier wurde die Musik direkt auf die Schallplatte übertragen, wie damals auf die Walze. Jede Schallplatte ist ein Unikat, es wurde für jede Schallplatte eine Aufnahme gemacht, ohne Umweg eines Masterbandes o.?.


Auf HiFi-Messen zeigte Dual den CS-731Q der Charly Antolini Direktschnitt abspielte und das obwohl der Plattenspieler auf den Kopf gedreht wurde Exclamation Der Tonarm blieb in der Rille mit dem ULM-60 System. Das werde ich nie vergessen.


DMM-Mastering Teldec


Zitat Teldec 1982:
Zitat:
Teldec schneidet ab sofort Musik direkt auf Metall-Master, damit ein besserer Sound gepreßt werden kann.

DMM = Direct Metal Mastering. So einen "Rohling" hatten wir damals im Büro.

Zum Abschluß mal ein lustiges Cover von Sweet. Sieht aus wie Shure System und SME-Tonarm. So ungefähr pflügt die Tonnadel durch die Rillen. Laughing


Einige Abbildungen stammen aus unserem Fachhandelskatalog Anfang der 80er Jahre (Copyright Ingo Mirus und ThomasT).


Ich hoffe, dieser Beitrag ist dienlich und es gibt, wie oben erwähnt noch einiges zur Abtastung Tonarm und TA-System zu sagen. Ebenso zum Nadelschliff und wo die Vorteile liegen.

Mit freundlichen Grüßen
ThomasT


Autor: Nils Verfasst am: 31.05.2007, 05:07 Betreff:
Prima Arbeit, Thomas !

Sehr gut ! Setzen!

Gruß, Nils


Autor: MGW51 Verfasst am: 31.05.2007, 05:21 Betreff:
Also ich bin auch begeistert, habe allerdings nur schnell mal überflogen. Nadelschliff war nie ein Thema bei uns. Mir ist auch garnicht bekannt, ob es da seinerzeit eine Auswahl gab. Nach meiner Erinnerung hatten wir nur für einige Systeme die Wahl zwischen Saphir für Normalrille und Saphir oder Diamant für Mikrorille. für einige Systeme gab es generell keine Nadelträger in "N"-Ausführung. Von daher war Ersatz für Vinylplatten kein Problem. Die für Schellackplatten waren dagegen manchmal nicht verfügbar. Es wäre ganz sicher nicht nur für mich interessant, hier ein bissel tiefer einzudringen.


Autor: deltamike55 Verfasst am: 31.05.2007, 09:22 Betreff:
Hallo Thomas,

absolut reif für eine Diplomarbeit !! Der Thematik ist glaube ich, nichts mehr hinzuzufügen; für mich ist der Artikel unheimlich lehrreich.

Danke und Gruß, Dieter


Autor: MGW51 Verfasst am: 31.07.2011, 08:11 Betreff: DMM in der DDR
Gut vier Jahre sind seit der Arbeit von ThomasT vergangen - die dort gemachten Aussagen haben in dieser Zeit inhaltlich nichts verloren. Es wäre allerdings witzlos gewesen diesen Thread zu rekonstruieren wenn ich seinerzeit nicht auch diese Bilddateien in unserer Galerie gesichert hätte.

Beim Aufruf der ehem. Website werde ich direkt auf die Seite der DENIC weitergeleitet:
Zitat:
TRANSIT-Informationsseite

Die aufgerufene Domain ist derzeit nicht erreichbar.

Der Domaininhaber bzw. der administrative Ansprechpartner sollte inzwischen über die Probleme informiert sein. Wir rechnen daher in Kürze mit ihrer Behebung.


Wie ich nun von ThomasT selbst erfahren habe, hatte er seinen Webspace gekündigt, da dieser für ihn mit dem Ende des alten RFM-Forums resp. der Löschung aller Mitglieder durch dessen Besitzer gegenstandslos geworden war. Diese Argumentation ist nachvollziehbar! Aus dem Grunde muß ich meine vorherigen Bemerkungen zu diesem speziellen Fall korrigieren was hiermit erfolgt ist.

überarbeitet und korrigiert am 09.09.2011




Doch zurück zum Thema.

Auch bei der DSP (Deutsche Schallplatten Berlin) wurde in den späten 80-ern auf Grund eines Lizenzabkommens mit DMM gearbeitet. Da es weder in mein spezielles Interessensgebiet einstreut noch mir das fachliche Verständnis dafür gegeben ist, würde ich es sehr begrüßen wenn dieser Thread hier von einem kompetenten Mitglied weitergeführt wird.

Auch zum Thema Direktschnitt, also Direct-to-Disc, wünschte ich mir einige weiterführende Informationen. Thomas selbst nennt nur zwei Plattentitel, die so entstanden sind. Wieviele Scheiben davon wirklich geschnitten wurden und ob das Verfahren eine größere Verbreitung / Anwendung fand, ist noch völlig offen. Ggfs. machen wir dazu eine Extrarubrik als Unterverzeichnis der Mikrorillenplatten im Medienkatalog auf.
Doch dazu muß erstmal klar sein, was es auf diesem Gebiet gibt bzw. gegeben hat.



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