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Liebe Mitleser,
folgender Text wird länger, obgleich ich noch nicht allzu sehr in Details gehe. Schlechte Erfahrungen in anderen Foren zwingen mich aber dazu, hierfür um Nachsicht zu bitten, obwohl nicht ich Probleme und ihre oftmals nur historisch zu beGründenden Ursachen hervorgerufen habe; sie entstanden im Zuge der historisch-technischen Entwicklung, deren Grundlagenbezug uns heute verloren gegangen ist. Ich bin gerne bereit, alle angesprochenen Details genauer zu behandeln; nicht aber, Angriffe auf meine fachliche Integrität dahingehend hinzunehmen, dass das, was ich schreibe "überflüssig" sei. wäre es dies, brauchten wir keine Diskussionen zur Qualität und den Ursachen einer Mangelhaftigkeit nebst den fachlichen Grundlagen dazu zu führen. Wem mein Text zu lang ist, der möge ihn übergehen, was ich ihm ausdrücklich nicht ver?ble.
Die überspielung von Platten in den Rechner darf von der Sache her keinerlei grundsätzliche Probleme bereiten, weil sich ein Rechner mit Soundkarteneingang bezüglich des Speicherungsprinzips nicht von einer A80, M15, A77 oder einem Mischpult analoger Provenienz unterscheidet. Im Detail allerdings gibt es Untiefen, weil dem Konstrukteur einer Standardsoundkarte heute andere Dinge auf den N?geln brennen als die Zusammenarbeit mit einem Entzerrervorverst?rker.
So muss zunächst einmal klar sein, welche Empfindlichkeit der Soundkarteneingang aufweist. Standardsoundkarten werden aus dem oben benannten Grund fast immer ohne Spezifikationen geliefert; man weiß daher solange nichts, bis man ausprobiert und/oder gemessen hat. Die Strategien dazu hängen von den individuellen Möglichkeiten des überspielbedürftigen dahingehend ab, welche Kenntnisse und Messgeräte vorliegen.
Weiterhin ist die St?rUnterdrückung bei Onboard-Soundkarten in Standardrechnern bzw. -soundkarten oft genug müßig, so dass man im Hintergrund allerhand Gebr?sel hört, von dem ein digitales Gerät zwangl?ufig voll bis unters Dach ist. Man müsste also etwas tun, damit man für Audioanwendungen das 'Gebr?sel' da hält, wo es nicht mehr stört, also (zumindest intentionell) im Bereich des thermischen Rauschens. Das geht, kostet aber. Leider kann man nicht sagen, dass ein teurerer Rechner zwangsläufig eine entsprechend bessere Soundkarte on board hätte, weil der Rechnernormalkonsument eben keine Audioanwendungen betreibt. Welcher Rechner hier das Anforderungsspektrum befriedigt, spricht sich in Fachkreisen schnell herum, unterliegt aber galoppierender Veränderung, weil Rechnertypen vom Hersteller fast in Monatsabst?nden modifiziert auf den Markt geworfen werden. Man tut sich deshalb gerade als Amateur leichter, ein externes USB-Soundinterface zu erwerben und zu verwenden. Es arbeitet meist mit eigenem Netzteil, weshalb der Rechner weniger Möglichkeiten hat, in die analogen Sektionen dieser Soundkarte bzw. dieses Interfacec 'hineinzufunken'. außerdem kommt dann in der Regel auch kostenfrei ein Aufnahmeprogramm (mit angemessener Aussteuerungsanzeige!) mit, dessen Umgang allerdings zumeist auch gew?hnungsbedürftig ist und gelernt werden muss. "Dr?ck' mal drauf und ---: läuft!" ist eben leider gerade auch wegen der notorischen Leistungsdichte neuzeitlicher Weichware nicht. Solche Interfaces werden je nach Ausstattung für mehr oder weniger kleines Geld zwischen Behringer, Lexicon und Tascam angeboten. Ich besitze ein 10/16-kanaliges USB-Interface von Tascam und eine 4/6-kanalige Anlage von Lexicon (beide kamen mit Cubase), die im Rahmen ihrer Möglichkeiten tadellos arbeiten, für die hier in der Diskussion stehenden überspielzwecke aber zu groß und damit zu teuer sind, zumal sie nicht die einzigen Dinge sind, die beschafft werden ten/dürften/könnten/sollten.
Brummen darf natürlich nichts; Aussteuerung digitaler Signalstrecken ist kritisch, weil selbst übersteuerungen analoger Vorstufen im Rahmen von zehntel Millisekunden (St?rknackser!) zu hörbaren Störerscheinungen auf der AD-Wandlungsebene führen, obgleich der Einschwingvorgang des menschlichen Geh?rs 'eigentlich' immerhin 10 ms beträgt, die die Analogies ja von den traditionellen (Profi-)Spitzenspannungsmessern seit dem U10 aus RRG-Zeiten (und nach DIN) kennen werden. Die von Michael absolut zutreffend angesprochenen Brummschleifen ergeben sich heute leider besonders leicht dadurch, dass die '?rtliche HiFi-Anlage' über einen Tuner mit unsymmetrischer Koaxverbindung (75 Ohm) am geerdeten Breitbandkabelnetz oder an einer schutzgeerdeten Antennenanlage aktiv ist, während der Rechner (unsymmetrisch am Hifi-Dingens angeschlossen) mit einem potenziell eigenen Schutzleiter aufwartet. Folge der Zusammenf?hrung zweier Schutzleiter unterschiedlichen Potenzials: Es brummt. Dagegen etwas zu tun, ist nicht immer einfach. Die dafür empfohlenen "Mantelstromfilter" werden mit galvanischer (transformatorischer) oder nichtgalvanischer (kapazitiver) Trennung angeboten, was zu unterschiedlichen Erfolgserlebnissen bezüglich des Brumms führt. Einfach ist in diesen Fällen zumeist, die Antennenleitung zu ziehen (= Brumm meist weg), was aber immer dann kontraproduktiv ist, wenn man etwas aus dem Tuner direkt in den Rechner laufen lassen will. Richtige Abhilfe schaffen dann nur TrennÜbertrager oder eine sinnvoll angelegte, symmetrische Verkabelung an geeigneter Stelle, was ich -da abhängig von den individuellen verhältnissen- jetzt nicht vertiefen möchte. ?De gonz de onnere Klong? ist es NICHT.
Kritisch und wichtig wird es im Zusammenhang mit den Schellack-Platten und ihrem Schneidverfahren selbst. Die Plattenmüssen mit dem passenden Diamanten abgetastet werden. Das war in der Zeit der elektrischen Aufnahme (seit etwa 1925) ein solcher mit einem Verrundungsradius von 65?. Der muss beschafft werden. Ein neuzeitlicher Diamant für 33 Upm ist für Schellacks ungeeignet. Er schlackert in der Rille mit beachtlicher Verzerrungsneigung und gewaltigem Rauschanteil quasi ungeführt herum, was die Ergebnisse des Abtastvorgangs zur akustischen Zumutung macht. Wegen der ohnehin beachtlichen Verzerrungsneigung der Schellackplatte ('ab Werk') kann er aber bedenkenlos ein sph?rischer Diamant sein, zumal es nach meinem Wissen zwar schon zur klassischen Schellackzeit in professioneller Verwendung elliptische Abtasterformen gab, der heutige Markt aber keine solchen (mit 65?) anbietet. Mangels Masse gibt es hier also nichts zu entscheiden.
Interessant wird es auf dem 'Schellackmarkt' dadurch, dass die Schneidkennlinien der damaligen Aufzeichnungen nur sehr rudiment?r genormt waren, also jeder Verlag, jeder "Anbieter" sein eigenes Süppchen im Sinne des "Firmenklangs aus dem Blechtrichter" kochte. RIAA oder DIN gab es nicht bzw. kamen erst sehr spät. Eine Wiedergabe nach der RIAA(-Entzerrerkurve) führt also kapital in die Irre, auch wenn Schellacks selbst seltenst mehr als 10 kHz dekodierbar anbieten; meist ist schon bei 6,3 KHz Schluss mit lustig. Dennoch, es gibt ja auch den Tieftonbereich: Urspr?nglich ging man beim Schnitt der Matrize von einer Schneidkennlinie aus, die bis 250 Hz mit konstanter Auslenkung verlief und ab 250 Hz langsam zur konstanten Schnelle überging. Man wählte dieses Verfahren schon früh (also lange vor Eduard Rheins hochintelligent gelöstem Füllschriftverfahren), um im Tieftonbereich Platz zu sparen und im Höhenbereich mit möglichst hohem Pegel schneiden zu können, der den damals ja überwiegenden mechanischen Abtastern und der Verringerung des Plattenrauschens entgegenkam. Dieser "Grundfrequenzgang" wurde -wie oben angedeutet- von allen Herstellern firmenspezifisch modifiziert. Die Daten dieser Modifikation (jenseits der zusätzlich erforderlichen, um eine Aufnahme in die Rille zu bekommen) hielt man aber geheim. Wir verdanken der Firma EMT eine Liste, die die elementardaten der überspielgepflogenheiten prominenter Plattenabieter der Schellackzeit vereinigt, so dass man etwas weiß, was wo ?vermutlich wirklich? gemacht wurde. Im Zuge des Angebotes der bekannten perofessionellen EMT-Plattenwiedergabemaschinen seit den 1960ern hatten die EMTler damals noch lebende überspieltechniker jener Firmen zur Sache befragt, und diese Informationen in der "EMT-Liste" zusammengefasst, die von dann an den schellacktauglichen Plattenmaschinen beigelegt wurde.
für uns bleibt jetzt das Problem der Realisation dieser Wiedergabekennlinien. Man kann im Grund für jede Kennlinie einen eigenen Entzerrer zu kaufen oder zu bauen versuchen, die diversen Geräte mit umschaltbaren Kennlinien (diejenige, die man braucht, ist regelmäßig NICHT da, der Preis aber regelmäßig einigermaßen phantastisch).
Ich habe das folgendermaßen realisiert: für meine Plattenspieler wurde ein semiprofessioneller Doppelentzerrer (Alice Phonopak2, bestehend aus zwei vollkommen unabhängigen Stereoz?gen) für meine Plattenwiedergaben in einem Stereozug modifiziert, während der andere seine RIAA- bzw. DIN-Kennlinie behielt. Ich entfernte aus jenem im Zuge des Umbaus die frequenzbestimmenden Kondensatoren, so dass der Vorverst?rker nun linear arbeitet. Dies ist beim Revox-Verstärker A78 (der weiland auf dem Schreibtisch meines Freundes und C37, J37, G36 und A77-Vaters Guido Besimo entstand) übrigens in der Eingangsverst?rkerstellung "Mikrofon" ab Werk realisiert und (fast) ohne Umbauten nutzbar. Die erforderliche Kennlinie stelle ich dann über die Filternetzwerke der bei mir nachgeschalteten Mischpulte (Yamaha 02R bzw. 03D) ein. Dies ist in der Regel fast genauso gut auch mit einem Klangregelnetzwerk eines Rechneraufnahmeprogramms (oder eines HiFi-Verstärkers) möglich, sofern die Flankensteilheit der dabei realisierten digitalen Filter ungefähr mit den betagten (also analogen) Vorstellungen der EMT-Liste harmoniert. Die Ergebnisse sind oftmals frappierend, weil man kaum glauben mag, was aus der Schellackrille als mit Fug? und Recht ziemlich 'original' ansehbares Material herauszuholen ist, wenn man mit großer Sorgfalt an die Sache herangeht.
Der Abtaster ist ein geringes Problem, weil die Ansprüche an ihn bei Schellacks angesichts der hohen Rillengeschwindigkeit, des stark begrenzten Frequenzbereiches und der (fast) prinzipbedingten Monofonie (Allan Dower Blumleins Stereopatent von ca. 1932 lassen wir außen vor) sehr begrenzt ist. Ein sorgfältig gebautes Magnetsystem mit Diamant sollte es dennoch sein. Ich taste nass (destilliertes Wasser OHNE Alkohol, denn Schellack wird durch Alkohol gelöst!) mit irgendeinem audio-technica-System ab und betreibe eine mit Testplatten geeichte Anlage, so dass ich von den Pegeln her unmittelbar auf die Aussteuerung der wiedergegebenen Platten schließen kann. Aufnehmen kann ich mit einem Sadie- oder einem Sequoia-System, das für euch nicht in Frage kommt. Sequoia entstammt wie Sadie einer professionellen Produktlinie, die im Sequoia-Fall für den Liebhaber als "Samplitude" bekannter und erschwinglicher ist. Seinerzeit zu meiner Zeit konnte man für Sadie ein Cedar- und für das Sequoia ein Algorithmix-PlugIn zum Fantasiepreis erwerben, was bei mir aber (aus finanziellen Gründen) nicht geschah, zumal ich meine Aufnahmen immer so anfertigte, dass da Nebenger?usche nur insoweit eine Rolle spielten, als sie absolut unvermeidlich physikalisch bedingt waren. Wenn ich an Schellacks meine, etwas drehen zu müssen bediene ich mich bis heute eines betagten, mir durch meine Freund- und Verwandtschaften in der amerikanischen Heimatstadt Ray Dolbys zugewachsenen Adobe Audition 1.5, das eine halbwegs tolerable (= n?tzbare) StÄrger?uschminderungsfunktion ähnlich wie Algorithmix, jedoch nicht annähernd in dieser Perfektion bereitstellt. Zumeist aber fuhrwerke ich damit nicht herum, sondern n?tze weitere Filter meiner Mischpulte als "Nadelger?uschfilter", was dem Prinzip der Schellackplatte in zeitgenössischen Umgebungen" eher entspricht als die Herausrechnerei eines Rauschens. Oberflächenst?rungen in Gestalt von Kratzern tilge ich -sofern allzu unangenehm- mit Audition 1.5 entweder händisch (Kurvenkorrektur auf Sampleebene) oder mit klug eingestellten Korrekturfunktionen dieses Programms.
Das Ergebnis einer Schellack-überspielung entspricht so allemal dem Original. Erreicht man dies nicht, macht man etwas falsch. Derlei geschieht heute leichter als es einem lieb ist, weil die Steckkartenmentalität neuzeitlicher Digitaltechnik uns alle -auch mich als Alt-Analogen (mit dem Branchenruf des Digitalpioniers)- in den Griff genommen hat. Analog zu arbeiten heißt aber prinzipiell, Ritte über den Bodensee anzutreten, auf denen man allzu dünnes Eis unter den Hufen zu erkennen und zu meiden hat. Ein analoges Mischpult hat eben keine minimal 192 dB Knotenpunktdynamik, sondern -wie jeder Mikrofonverst?rker- vielleicht nutzbare 60 bis 80 dB, die einen zum Haushalten zwingen. Nachdem man von der Schellackplatte erst über diverse analoge Klippen ins digital geöffnete Scheunentor einfahren kann, muss man sich mit diesen analogen Engp?ssen befassen, wenn das Ergebnis dem des Originals entsprechen soll. Die Probleme liegen bezüglich Aussteuerung und Nebenger?uschfreiheit prim?r auf analoger Seite, weshalb Kenntnisse in diesem Terrain nützlich sind. Die gesammelten Klangdiskussionen einer pathologischen Analogszene sind ohnehin müßig, weil s?mtlich nicht zutreffend und nur deshalb in endlosen (immer identisch verlaufenden) Diskussionen 'behandelbar', weil die Protagonisten sich ausschließlich mutmaßend ans Thema begeben, sich um die eigentlichen Zusammenhänge aber nicht kümmern wollen. Da würde es zwar durchaus mühselig, aber technisch, musikalisch, historisch und ganz allgemein kulturell auch überaus ergiebig.
Hans-Joachim |
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