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Lieber Michael,
deine Antwort verunsichert mich etwas, denn Eduard Rheins Verfahren ist weltweit in seiner gemeinsamen Einführung mit der Vinylplatte (obwohl ja keineswegs daran gebunden!) und im Verein mit der Einführung des Schallplattenstereoverfahrens die technologische, aber auch isthetische(!) Grundlage der neuzeitlich hochwertigen schwarzen Platte und der auf ihr Gründenden HiFi-Bewegung ab Anfang der 1960er auch in Europa gewesen. Sie allein war für den (Massen-)'Konsumenten' ja zunächst der einzige Zugang zu einem universell technisch hochwertigen Speicher und unterlag damit an sich sehr hoher, wenn auch oftmals unbewusster Beachtung. Zwar gab es bereits ab der D36 (1960; besser eigentlich F36, sie 1962) Willi Studers in Mitteleuropa ein BandGerät, das im Rahmen einer Amateurtechnik mit einer stereofonisierten K8/T9 halbwegs mithalten konnte, dennoch fehlten einer engagierten Amateurwelt (= mehr als eine Person; in der Nachkriegsfortentwicklung der Stereotechnik spielen auch sehr betuchte, einzelne Privatleute eine erhebliche Rolle) neben so manchem anderen praktisch alle Kenntnisse und Bewusstseinsebenen, eine Aufnahme auf die Beine zu stellen, die auch nur annähernd dem entsprochen hätte, was man von der Platte oder dann zunehmend auch aus dem Rundfunk hören konnte. Dass dies obendrein und insbesondere an dieselben Mikrofone gebunden war, wie sie die Profis verwendeten (damals noch weit mehr als heute), die ein Mehrfaches der Amateur-Bandgeräte kosteten, die der sich vielleicht gerade noch leisten konnte, verdammte ihn noch lange (wenn nicht gar bis heute!)zum passiven Konsum. Die HiFi-Bewegung musste alles in allem über Jahre anlaufen, um in der uns geläufigen Breite (auch bezüglich der Stereofonie) Marktbedeutung erlangen zu können.
Die 'Marktbedeutung' zwang die DDR-Bürger bezüglich vieler Annehmlichkeiten, kleinen Vergn?gungen und Freuden des alltäglichen Lebens in die "Austerität" (wer kennte derzeit dieses euphemistische Quatschwort nicht!): Aufgrund der marktradikal-monetaristisch-kapitalistischen(!!!), ja neoliberalistisch-Ökonomiefaschistischen Verachtung des Binnenkonsums seitens der ?ideologischen Volksbeaufsichtigung? ebendort ("Export steht über allem, Importe kosten Valuta, sind also als Teufelswerk wo irgend möglich zu vermeiden) stand ihre staatliche Verwaltung jeder größeren Neuinvestition allzu häufig ablehnend gegenüber, wenn die Kapitalabschreibungen im Binnenkonsum aufgrund (potenziell) ausbleibenden Exportes die Einnahmen -und sei es nur zunächst!- zu weit zu übersteigen drohten. Man "sparte" lieber und man?vrierte sich damit (hier überdies unter Subventionierung des Exportes zwischen zwei sehr eigenartig verbandelten Wirtschaftssystemen zulasten der eigenen Binnenwirtschaft) in eine Abw?rtsspirale, an der dieser Staat neben vielen anderen gerade auch sozialen Fehlern schließlich erstickte.
Aus der angesprochenen Ideologie (auch die Anlageninvestitionen der aktuellen Bunzrepublik residieren auf einem Allzeittief!) investierte 'man' ("voces expertum") nicht in die Hoffnung, dass sich die Bürger des eigenen Staates, die man extrem kurz hielt(hält), schon ausreichend mit "Schmalrillenplattenspielern" versorgen würden, um der heimischen Produktionsindustrie den Umstieg auf die Mikrorillentechnik zu erleichtern. Normalrillenlaufwerke waren wohl genug da, also lutschte man diesen Lolli weiter aus, solange dem gewisse Geschmacksreste anhafteten.
Dass aus den Folgen solcher Ideologieexerzitien -gerade auch bei damals ja halbwegs (weil begünstigt) Betroffenen- selten auch nur ein Minimum gelernt wird, erleben wir derzeit wieder mit. Weltweit, besonders aber in der Bunzrepublik, die nun zum zweiten Male innerhalb von 20 Jahren eine Währungsunion kraft eigenen Handelns durch wirtschaftswissenschaftliche Ignoranz und sturstes Festhalten an nicht haltbaren Ideologien sehr erfolgreich und donnernd an die Wand setzt.
Doch zurück zu Eduard Rhein und seiner Füllschrift: Seine Idee ist es also, die gemeinsam mit dem Magnetofon meiner Ansicht nach die Weichen für die Realisierung einer hochwertigen Speicherung auch in der Hand des Liebhabers stellten. Diese Einbeziehung des Magnetofons ist nicht unwesentlich, denn ursprünglich setzte Rhein als Verz?gerungsGerät für die Rillenabstandssteuerung einen -aus der Warte der folgenden HiFi-Entwicklung betrachtet- qualitativ nicht akzeptablen Schallplattenzwischenspeicher ein.
Die Geschichte der Langspielplatte ("extended play") beginnt deshalb nicht mit den 33 UpM (sie gab es bekanntlich vorher, allerdings auf großen 50cm-Platten und den entsprechenden 65?-konformen Rillengeschwindigkeiten), sondern mit Rheins Füllschrift-Technologie.
Daher gilt für deine Fälle: Sobald bei Platten mit 78 UpM und 30 cm Durchmesser 9 Minuten drauf sind, ist Füllschrift drin. Sofern man produktionsseitig in eine Füllschriftanlage investiert hatte, war die Modifikation eines Magnetbandgerätes für diesen Zweck ja auch hochwertig, kostengünstig und letztlich einfach zu realisieren, weshalb seine Perfektionierung bis Kriegsende in seiner Bedeutung für den gesamten Audiomarkt wohl nur noch mit der Einführung der CD zu vergleichen ist, durch die peu ? peu alle Teilbereiche der (professionellen) Produktionstechnik so aufgemischt wurden, dass diese sich in nur 10 Jahren dramatisch veränderten, auch wenn das die heutige, oftmals leider sehr ignorante Freakszene nicht wahrhaben und stattdessen entstandene Folgen ohne genaue Analyse, also unbesehen (!) unter ?Verfall? subsumieren will.
Magnetbandgerät+Füllschrift+Vinyl+LP-Stereo fungieren wie CD oder MP3 als historische Symbole für die Entwicklungsdynamik menschlichen Wissens und seiner Anwendungen (nebst all den begleitenden, oftmals geradezu kuriosen Zufällen), die einerseits belegen, dass es sich bei der Medientechnik ebenfalls um eine historische (weil archivierende) Wissenschaft handelt, die andererseits aber auch selbst historisch analysiert werden kann und so Einsichten in die Denkart der Urheber und ihrer Lebensepochen erlaubt, wenn man als Quasi-Nachgeborener zur Beschäftigung mit den erhaltenen Zeugnissen wirklich willens ist. Die Leute schreiben nämlich schon damals zu dem, was wir heute noch hören können.
Daher nochmals: Alle erwähnten Aufs?tze bzw. B?cher (Bergtold, Moderne Schallplattentechnik sind in Auflage 1954 -ohne PDF- wie 1959 -als PDF-) sind ebenso in meinem Besitz wie die Texte zu den Patenten Eduard Rheins, die allerdings ohnehin für jedermann bei meinem Münchener Nachbarn, dem Deutschen Patentamt, heruntergeladen werden können, wenn man weiß, wonach man suchen muss. PDFs erhält man von mir bekanntlich per Mail und nicht per Bezahlung. Sofern die Provider mittun.
Hans-Joachim |
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