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Autor: MGW51 Verfasst am: 11.03.2007, 17:38 Betreff: ODEON - auf russisch!
Aus meinem Fundus, seit Jahrzehnten im Familienbesitz und ich habe mir dieses Ding noch nie angehört - bis gestern. Es geht nur mit einem Grammo - derartiger Höhenschlag wirft jeden elektrischen Tonarm aus der Spur.



Was mich interessieren würde: Wann und wo kam diese Scheibe aus der Presse?
Eine Einlaufrille gibt es noch nicht - soviel nur als Anhalt.


Autor: Nils Verfasst am: 12.03.2007, 02:05 Betreff:
Hallo lieber Michael,

erstmal vielen Dank für das schöne Etikett!

Nun, die Lindstr?m in Berlin hat viele solcher zweisprachigen Etiketten zwischen 1928 bis etwa 1932 herausgebracht. Ich sah schon tschechische, englische, spanische etc.

Von wann ist Deine Platte ?

Nun, das verr?t uns die Matrizennummer: Be 6260

Be steht für den Aufnahmeort Berlin und Nummer 6260 wurde eindeutig im Mai 1928 vergeben.

Es liegt die Vermutung nahe, daß diese Platte aber niemals nach Russland exportiert wurde.

Von den schwierigen politischen verhältnissen mal abgesehen, hat Deine Scheibe eine ganz normale, deutsche Bestellnummer (O-2308 ). Reine Exportplatten hatten zumeist sechstellige Nummern mit einem A als Pr?fix.

Auch wage ich Zweifel an der wirklichen Existenz des " Grossrussischen Balalaika-Orchester Alexander Michailowsky" anzumelden Laughing

In den Jahren um 1930 "boomte" die Schallplattenindustrie in Deutschland und nicht selten kamen monatlich 30-50 Neuaufnahmen jeder großen Firma auf den Markt. Daher war eine gewisse Strategie nötig, um ein großes Repertoire von (teilweise exotischen) Orchestern vorzutäuschen.

Neben vielen deutschen Orchester-Pseudonymen finden sich eben auch solche exotischen wie "Alexander Michailowsky" . Hier liegt einfach die Vermutung nahe (Aufnahmeort, Bestellnr. des deutschen Binnenmarkts), daß hier das Hausorchester der Odeon/Lindstr?m passend zum russischen Liederpotpourri "umgetauft" wurde. In jenen Jahren war u.a. Otto Dobrindt Aufnahmeleiter und Orchesterleiter des Hausorchesters der Odeon.
Otto Dobrindt hat unendlich viele, verschiedene Aufnahmen gemacht, oft eben unter Pseudonymen, um eine Repertoire-Vielfalt vorzutäuschen. ("Eric Harden", "Kapelle Merton" , "Horst von der Plaaten", "Horst Platen", "Wiener Boheme Orchster" etc)

So würde ich auch Deine Platte einschätzen, aber einen genauen Beweis muß ich leider schuldig bleiben.

Viele Grüße, Nils


Autor: MGW51 Verfasst am: 12.03.2007, 06:24 Betreff:
Lieber Nils,

das ist schon eine ganze Menge an Informationen!

für mich selbst bestätigst Du meine Vermutung bezüglich des Gestehungszeitraumes, den ich allen nur auf Grund des Nichtvorhandenseins einer Einlaufrille auf Mitte 20-er datiert hatte - nun weis ich es wenigstens ganz exakt.

Das Elend an dieser Platte ist halt ihre extreme Welligkeit. Wie kann soetwas entstandensein? Schellis sind doch nicht thermoplastisch - oder etwa doch? Die Frage ist, ob diese Verwerfungen reversibel sind.

Wie schnell so eine Scheibe entzwei geht, ist ja hinl?nglich bekannt.


Autor: Nils Verfasst am: 12.03.2007, 07:09 Betreff:
Hallo Michael,

doch doch, sie sind "thermoplastisch" - wenn man so will.

Bei mir reicht im Sommer, wenn ich eine Platte gehört habe, das vorübergehende schräge Abstellen der Platte.
Dazu dann ohne Hülle (Schwarz=W?rmespeicher) , Sonnenschein durch's Fenster auf die Platte....und schon ist eine wunderbare WÖlbung in der Platte ! bomb
Letzten Sommer leider so geschehen.

Kurz und gut, es reichen oft "haushaltsübliche" Temperaturen + schlechte Aufbewahrung, um die Schellackplatte zu verformen. Vor ein paar Jahren sollte ich mir 200 Platten bei Bekannten geschenkt vom Dachboden abholen. Sie waren in Ständern aufbewahrt....aber über die Jahrzehnte und die extreme Hitze unter dem Dach waren alle übelst verformt...

Leichte Verformungen lassen sich gut beheben !

Zwei Glasplatten, Schallplatte dazwischen und das ganze ein paar Stunden in die Sonne legen.
Wichtig ist das SEHR langsame Abk?hlenlassen. Sonst verformen sie sich nach 2-3 Tagen wieder von allein.
Wenn Sonne fehlt, geht es auch auf der Heizung, oder im Backofen. Ich sch?tze mal, daß eine Temperatur von 70 Grad aber nicht überschritten werden sollte, sonst b?gelt man sich ja die Rille aus der Platte Laughing

Gruß, Nils


Autor: MGW51 Verfasst am: 12.03.2007, 07:20 Betreff:
Das überrascht mich nun doch!

selbstverständlich probiere ich das auch aus - sobald die Sonne hoch kommt. Diesen Trick hattest Du mir ja schonmal wegen der welligen Phonycord verraten. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, das auch bei einer Schellack zu versuchen.

Mein Bericht folgt demnächst.


Autor: Nils Verfasst am: 12.04.2007, 07:23 Betreff:
Noch ein Nachtrag:

Auch bei guter Lagerung und keiner Verformung, tut der Schellackplatte große Hitze über die Jahre nicht gut.

An manchen Platten konnte ich folgenden Effekt beobachten:
Beim Pressen entstehen scheinbar minimale Lufteinschl?sse im Inneren der Platte. Die hohe Temperatur läßt diese kleinen Lufteinschl?sse zur Ausdehnung bringen. Liegen die Einschl??e nun dicht an der Oberfläche, "sprengen" sie ihren Deckel regelrecht ab .

Hinterher zu erkennen an einer seltsam "pickligen" Oberfläche. Richtig "Mini-Krater".

Prasselnde Nebenger?usche nehmen dadurch leider sehr zu.

Gruß, Nils


Autor: MGW51 Verfasst am: 08.12.2016, 19:42 Betreff:
Auch wenn es schon ein paar Wochen her ist:

Die Glasplattenmethode hatte ich vor vielen Jahren dann erfolgreich angewendet und die Schelli ließ sich wieder ganz normal spielen - ohne "vom Teller zu springen".
Das alles liegt, wie gesagt, mindestens 8 Jahre zurück und ich kann nun nicht aus dem Bauch heraus behaupten, daß dier B?geleffekt bis zum Tage angehalten hat. Dazu müßte ich diese Platte erstmal wieder ausgraben und in Augenschein nehmen. Das ist im Augenblick aber nicht möglich - zuviele andere Aufgaben gilt es abzuarbeiten.



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