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Ich bediente Deutschlands ersten Sender
Fritz Siegert erzählt aus der Geburtsstunde des Rundfunks
Wenige Jahrzehnte erst haben wir den Rundfunk, und doch machen sich im Wissen der geschichtlichen Entwicklung hier und da gewisse L?cken bemerkbar. So wird immer wieder einmal die Frage aufgeworfen, welches denn der erste für die Öffentlichkeit arbeitende Rundfunksender in Deutschland 'war, wo er gestanden und in welchem Jahre er seinen Betrieb aufgenommen hat.
Meist wird von Leuten, die näher mit der Materie vertraut sind, der sogenannte Vox-Sender in Berlin als erster Rundfunksender in Deutschland bezeichnet.
Das ist jedoch nicht ganz richtig, denn es gab da noch einen -allerdings kleineren - Vorgänger.
In der Potsdamer Straße 9 war es, wo sich eine Grammophon- und Schallplattenfirma, die Vox-Gesellschaft, befand. überall sah man in Berlin - zum Teil als Leuchtreklame - deren Firmenzeichen: Ein Grammophon mit einem langen Schalltrichter, aus dem Musik ertönte, und davor sa? ein weißer Hund, spitzte die Ohren und lauschte der Musik. "Die Stimme seines Herrn" stand darunter. Dieses Haus in der Potsdamer Straße 9 hieß allgemein das Vox-Haus. später wurde der Berliner Sender darin untergebracht.
Bevor es jedoch dazu kam, waren jahrelange Vorversuche erforderlich, die u.a. im Physikalisch- Technischen Reichsamt, Berlin C, Neue Friedrichstra?e (heute Littenstra?e) durchgeführt wurden. Herr Dr. Wratzke und Herr Dr. Baneitz hatten die Aufgabe übernommen, einen Versuchssender zu erbauen und praktisch auszuprobieren. Ich war ausersehen, in Gemeinschaft mit einem anderen Kollegen - wir arbeiteten beide beim Haupttelegrafenamt - den Betrieb durchzuführen. Wir standen damals mitten in der Inflation, der Dollar stieg täglich, und zu diesem Zeitpunkt, es muß wohl Ende 1921 oder Anfang 1922 gewesen sein, begann der Aufbau dieses ersten öffentlichen Rundfunksenders im Geb?ude des Postfuhramtes Oranienburger Straße/Ecke Artilleriestra?e (heute Tucholskystra?e). Damals war die Post noch nicht motorisiert, da sa?en noch Postillione auf dem Bock und fuhren ihre Wagen mit 2 PS durch die Stadt. Demgemäß war im Postfuhramt das Erdgescho? zu PferdestÖllen ausgebaut.
Dort also gelangte der 1-KW-Sender zur Aufstellung. Er bestand aus mehreren oben offenen Holzkisten, die den Vorverst?rker, den Röhren- und den Abstimmteil aufnahmen. Es war natürlich im verhältnis zu heute alles recht primitiv, aber der Rundfunk war ja erst im Kommen begriffen. Ein eigentliches Programm gab es noch nicht, man fühlte noch vor. Gehalts- und Lohnzahlungen waren ja alle 2-3 Tage, da die Mark täglich an Wert verlor und die Preise stiegen. Jeder war stets begierig, den jeweiligen Stand des Dollars zu kennen, um sich möglichst vor Verlusten zu schätzen. Demgemäß verbreitete der Sender in erster Linie Kurs- und B?rsenmeldungen. - Der Sprecher war ich. Und ich glaube, ich kann für mich in Anspruch nehmen, als der erste öffentliche Rundfunksprecher in die Geschichte des deutschen Rundfunks einzugehen.
Jede volle Stunde wurde der Sender angeschaltet. Dann besprach ich die neuesten B?rsen- und Wirtschaftsmeldungen. Die Durchsage dauerte 15-20 Minuten. Empfangen durfte jedermann, eine Gebühr wurde nicht erhoben. Man war damals zufrieden, wenn recht viele Hörer da waren, die ihre Empfangsergebnisse zur Auswertung von Güte, Reichweite usw. den zuständigen Stellen mitteilten. Als EmpfangsGerät diente allgemein der Detektor mit Kopffernhörer an einer Freiantenne auf dem Dache. Und da gab es manchmal Schwierigkeiten, wenn der Hauswirt seine Genehmigung zur Anbringung nicht erteilen wollte, weil er eine Beschädigung des Daches oder erhöhte Blitzgefahr befürchtete. Ich beendete meine Durchsage auch jedesmal mit der Mahnung: "Bitte, vergessen Sie nicht, Ihre Antenne zu erden."
Aber auch musikalische Gen?sse vermittelte ich meinen Hörern. Es waren Gen?sse besonderer Art: Ein Grammophon hatte ich aufgetrieben mit einem riesigen Blechtrichter, wie sie damals gebaut wurden. Dazu besaß ich eine einzige Platte. Auf der einen Seite war "Die schöne blaue Donau", auf der anderen ?Wiener Blut". Nach Beendigung des gesprochenen Wortes rückte ich dann den Trichter an das Mikrophon und spielte "Die schöne blaue Donau" als Abschluß, in der nächsten Stunde kam "Wiener Blut" an die Reihe. Und so ging das immer weiter, tage- und wochenlang. Na ja, die Hörer konnten ja schließlich etwas verlangen.
Eines Tages roch es plötzlich brenzlich, und dann stieg Qualm aus einem der K?sten auf. Mein Schreck war groß, denn unter mir waren die PferdestÖlle und über mir der Heuboden. Das hätte eine schöne Katastrophe geben können! - Schnell ri? ich die Hauptsicherung heraus, machte die Anlage damit stromlos, und dann -, ja dann tat ich etwas, was vom Standpunkt der Elektrotechnik grausig war: ich ergriff einen in der Nähe stehenden Eimer und go? ihn auf das qualmende Etwas. Die Situation war gerettet, und es stellte sich heraus, daß nur ein Transformator geschmort hatte.
Heute stehen natürlich für solche Vorkommnisse moderne L?scher bereit, die die Geräteteile weitgehend schonen.
Monatelang war der Sender in Betrieb, und man wertete die mit ihm gemachten Erfahrungen aus. Gemeinsam mit der einschlägigen Industrie kam es dann später - ich glaube, es war im Jahre 1923 - zum Bau des Vox-Senders in der Potsdamer Straße.
Quelle: RFT MESSE - INFORMATIONEN Leipziger frühjahrsmesse 1960 |
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